Sozial-Bündnis fordert „Sonderfonds Wohnen“ für Neubau-Offensive
Minimum 6 Mrd. Euro für die „soziale Ampel-Wende“ auf dem Wohnungsmarkt
Deutschland steht vor einer „greifbaren Wende auf dem Wohnungsmarkt“. Davon ist das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ überzeugt. Die Ampel-Regierung in Berlin müsse dazu allerdings mindestens 6 Milliarden Euro an Fördergeldern bereitstellen – allein für das soziale und bezahlbare Wohnen. Nur so werde es gelingen, die geplanten 100.000 Sozialwohnungen und zusätzlich noch einmal 60.000 bezahlbare Wohnungen, die notwendig seien, pro Jahr nach den aktuell geltenden Energiespar-Standards neu zu bauen. Entscheidend sei, wie viel der Klimaschutz dem Staat beim Neubau wert sei. Er müsse ansonsten auch bereit sein, noch tiefer in die Tasche zu greifen: So mache der maximale Klimaschutz bei Wohngebäuden (Effizienzhaus 40) sogar eine staatliche Förderung von 12,9 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich. Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle Wohnungsbau-Studie, die das Pestel-Institut (Hannover) im Auftrag vom Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ gemacht hat.
Die Wissenschaftler erwarten, dass die von der Ampel-Koalition gesetzte Zielmarke von jährlich insgesamt 400.000 Neubauwohnungen in den kommenden Jahren zu einem spürbaren Abbau des Wohnungsdefizits führen wird. Damit wäre sogar ein Ende des dramatischen Wohnungsmangels bis 2025 zu erreichen, so das Bündnis „Soziales Wohnen“. In ihm haben sich der Deutsche Mieterbund (DMB), die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sowie die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) mit zwei Partnern der Bauwirtschaft – der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) und dem Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) – zusammengeschlossen.
„Die Ampel-Regierung hat einen sozialen Bauplan für Deutschland vorgelegt. Sie schlägt damit ein neues Kapitel in der Wohnungsbaupolitik auf. Die Chance auf mehr soziales und bezahlbares Wohnen war seit Jahren nicht mehr so greifbar wie jetzt. Damit kann eine ‚soziale Ampel-Wende‘ auf dem Wohnungsmarkt gelingen“, so das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“. Vorausgesetzt, Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) schaffe es, die Ampel-Pläne zum Wohnungsbau umzusetzen: 400.000 Neubauwohnungen pro Jahr – davon 100.000 Sozialwohnungen. Das wiederum werde entscheidend davon abhängen, ob Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) das erforderliche Geld für die in der Koalition verabredete Neubau-Offensive bereitstelle. Ein „Sonderfonds Wohnen“ müsse her.
Konkret geht es nach Berechnungen der Pestel-Studie allein beim Neubau der 100.000 „Ampel-Sozialwohnungen“ bei einer Wohnfläche von je 60 Quadratmetern um eine Förderung von 5 Milliarden Euro pro Jahr. Dann nämlich, wenn nach dem bisher vorgeschriebenen Standard des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG) gebaut würde. Soll der Klimaschutz dagegen „enorm getuned“ werden, wären sogar 8,5 Milliarden Euro notwendig (KfW-Effizienzhaus 40). So oder so: Der soziale Wohnungsbau würde damit schon in diesem Jahr ein Mehrfaches der 2,2 Milliarden Euro benötigen, die der Staat bislang bereit war, in ihn zu investieren. Bund und Länder seien jetzt gefordert, so das Wohnungsbau-Bündnis.
„Beim Klimaschutz-Standard alle Register zu ziehen, macht das Bauen sehr teuer und erhöht zum Beispiel durch die dann notwendigen Belüftungsanlagen auch die laufenden Betriebskosten. Es ist volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn der Staat auch beim Gebäudesektor stärker auf die Umstellung auf regenerative Energie setzen würde“, sagt Studien-Leiter Matthias Günther.
Darüber hinaus setzt das Bündnis „Soziales Wohnen“ eine weitere Zielmarke: 60.000 bezahlbare Neubauwohnungen pro Jahr – mit einer Kaltmiete von höchstens 8,50 Euro. Wohnungen also, die sich Haushalte mit mittleren und unteren Einkommen noch leisten können. Auch hierfür werde der Finanzminister in den kommenden Jahren zusätzliche Mittel für die Förderung bereitstellen müssen. Pro Jahr wären dies konkret: zwischen 1 Milliarde Euro bei aktuellem Energiespar-Standard (GEG-Haus) und 4,4 Milliarden Euro für den „technisch machbaren Spitzenwert beim Klimaschutz“ im KfW-Effizienzhaus 40.
Um die Kosten beim sozialen Wohnungsbau zu senken, fordert das Bündnis eine rasche Reduzierung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent. Darüber hinaus müsse die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag angekündigte Erhöhung der linearen Abschreibung von 2 auf 3 Prozent möglichst schnell umsetzen, fordert das Bündnis „Soziales Wohnen“. Ebenso wie ein weiteres Prozent für eine Sonderabschreibung beim Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen. Allerdings nur für Regionen, in denen Wohnungsmangel herrsche. Die Mieten sollten dabei eine Obergrenze nicht überschreiten. Es sei dringend notwendig, an diesen „Steuer-Stellschrauben“ zu drehen, um mehr bezahlbare Wohnungen zu schaffen, so das Bündnis.
Preistreiber beim Neubau sei insbesondere auch das Bauland. „Bei Grundstückspreisen von 300 Euro pro Quadratmeter ist die Schmerzgrenze erreicht. Das ist der aktuelle ‚Bauland-Schwellenpreis‘. Liegen die Grundstückspreise darüber, haben der soziale und bezahlbare Wohnungsbau praktisch keine Chance mehr“, sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. Das Bündnis „Soziales Wohnen“ appelliert daher an den Bund und die Länder, vor allem aber auch an die Städte und Gemeinden, dem sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau offensiv günstiges Bauland bereitzustellen.
Das Bündnis fordert zudem, einer bislang kaum zum Thema gemachten „Wohn-Diskriminierung“ entschieden entgegenzutreten. So sollen künftig 10 Prozent aller neuen, vor allem auch barrierefrei gebauten Sozialmietwohnungen betroffenen Gruppen zur Verfügung gestellt werden, die es besonders schwer haben, auf dem Wohnungsmarkt Fuß zu fassen. Dazu gehören nach Angaben des Bündnisses „Soziales Wohnen“ u.a. Menschen mit Behinderung, mit psychischen Erkrankungen, Haushalte, in denen ein Demenzerkrankter lebt, und benachteiligte Jugendliche. Ebenso Senioren, die von der Altenhilfe betreut werden, Menschen, die aus der Haft entlassen wurden, Wohnungslose, Bewohnerinnen von Frauenhäusern, Geflüchtete und Menschen mit einer Suchterkrankung.
In diesem Zusammenhang spricht sich das Bündnis „Soziales Wohnen“ dafür aus, bundesweit in allen Kommunen „Wohn-Härtefallkommissionen“ zu etablieren. Diese sollen von den Stadt- und Gemeinderäten eingerichtet werden und betroffene Gruppen als Kommissionsmitglieder beteiligen. Die Härtefallkommissionen würden dann, so das Bündnis, über das 10-Prozent-Kontingent der zu vergebenen Sozialwohnungen entscheiden. Damit werde vor Ort die Bedürftigkeit im Einzelfall geprüft und die Berücksichtigung sozialer Kriterien bei Wohnungsvergaben garantiert.